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GVO-Zulassungsverfahren in der EU: Die nächste Reform?

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Germany
September 15, 2008

Quelle: bioSicherheit
http://www.biosicherheit.de/de/debatte/657.doku.html

„Auf dem Papier gibt es eine klare Trennung von Wissenschaft und Politik. Doch die Realität sieht anders aus.“

Der EU-Rechtsrahmen und das Verfahren zur Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen stehen in der Kritik. Einige Mitgliedstaaten haben verschiedene Reformvorschläge gemacht. bioSicherheit sprach darüber mit Maria Weimer, die am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz promoviert.

bioSicherheit: Seit einigen Jahren gibt es einen EU-weit verbindlichen Rechtsrahmen für die Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO ). Einige Mitgliedstaaten sind damit offenbar unzufrieden und haben Vorschläge für eine Reform angekündigt. Was sind die Kritikpunkte?

Maria Weimer: Die Kritik ist sehr umfassend. Man muss erst einmal trennen zwischen der Kritik an der Arbeit der wissenschaftlichen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA ) und den Kritikpunkten, die sich auf das Risikomanagement, also die Arbeit der Kommission und des Rates beziehen. Die Kernpunkte der Kritik betreffen die Unabhängigkeit der EFSA, die unzureichende Einbeziehung von nationalen Experten bei der Risikobewertung sowie die Entscheidungsblockaden im Rat.

Zunächst muss man sich aber eins vor Augen führen: Das Verfahren wie es heute gilt, wurde in den Jahren 2001 und 2003 von den damaligen Mitgliedstaaten mitbeschlossen. Das heißt: Sie waren damals neben dem Europäischen Parlament die Hauptautoren des jetzigen Rechtsrahmens. Insofern haben sie das Verfahren mitgetragen. Heute äußern viele Mitgliedstaaten, wenn nicht sogar eine Mehrheit, starke Kritik an den Verfahrensregelungen. Dabei hat sich die wissenschaftliche Lage nicht sehr verändert. Es gibt keine wesentlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse über Risiken, die von genetisch veränderten Produkten ausgehen.

bioSicherheit: Das derzeitige Zulassungsverfahren für GVO trägt ja nicht dazu bei, Vertrauen aufzubauen. Auf Basis der wissenschaftlichen Sicherheitsbewertung der EFSA wird ein Entscheidungsvorschlag erarbeitet, aber bei der Abstimmung im Ministerrat blockieren sich die Mitgliedstaaten gegenseitig. Ein Teil ist dafür, ein anderer dagegen. Wie kann man aus dieser Situation herauskommen?

Maria Weimer: Indem man sich erst einmal vor Augen führt, woran diese Blockadesituation liegt. Rechtstechnisch könnte man sagen, die Mehrheitsverhältnisse, wie sie im Moment im Verfahren vorgesehen sind, sind ungeeignet, um eine politische Entscheidung effektiv herbeizuführen. Die Minister müssen sich auf eine qualifizierte Mehrheit einigen, wenn sie den Entscheidungsvorschlag der Kommission entweder annehmen oder ablehnen wollen. Denn das Verfahren des Risikomanagements ist ja, dass nicht allein der Rat endgültig entscheidet und auch nicht allein die Kommission, sondern beide in Kooperation.

Man könnte sich überlegen, ob man künftig etwas an den Mehrheitsverhältnissen ändert. Ich glaube aber, dass dieses Problem nur vordergründig ist. Was dahinter steckt, ist letztendlich die Verwirrung der Debatte und die Vermischung von politischen und wissenschaftlichen Argumenten.


"Diese Stimmungslage kann man nicht allein mit wissenschaftlicher Begutachtung verändern."

bioSicherheit: Politische Debatten um die Grüne Gentechnik werden oft in Form von scheinbaren wissenschaftlichen Kontroversen ausgetragen. Manchmal hat man den Eindruck, dass wissenschaftliche Erkenntnisse etwa über die Sicherheit von gv-Pflanzen durch politische Entscheidungen konterkariert werden. Wie könnte man die Ebenen von Wissenschaft und Politik besser und klarer voneinander trennen?

Maria Weimer: Ich denke, das ist ein schwieriges Verhältnis. Zunächst einmal: Nach geltender Rechtslage gibt es auf Verfahrensebene eine wunderbar klare Trennung zwischen Wissenschaft und Politik. Genau das war auch eines der wichtigsten Ziele der letzten Reform: Die EFSA ist allein zuständig für die wissenschaftliche Risikobewertung, und die Kommission zusammen mit dem Rat für das Risikomanagement, also für die Entscheidung für oder gegen eine Zulassung, natürlich auf Grundlage der Risikobewertung. Das heißt: Auf dem Papier gibt es diese Trennung. Die Realität sieht leider anders aus, sowohl im Prozess der Entscheidungsfindung, als auch in der Debatte, die in den Mitgliedstaaten geführt wird.

Ich glaube, man erhofft sich von der Wissenschaft eine Legitimation, die man sonst nur schwierig erlangen kann. Viel akuter als die wissenschaftlichen Befürchtungen über Risiken für Umwelt und Gesundheit ist letztlich die Frage, ob die EU-Bürger GVO-Produkte wollen. Mir scheint, dass die Bürger sie nicht wollen – aus einem verständlichen Grund. Sie sehen die Vorteile für sich nicht, sie sehen nicht, warum sie sich auf die Ungewissheiten dieser neuer Technologie einlassen sollen. Diese Stimmungslage wird wiedergegeben als etwas, was mit wissenschaftlicher Begutachtung geändert werden könnte. Die Politik müsste wirklich offener damit umgehen und eine politische Debatte über die sozialen Vor- und Nachteile von GVO führen.

bioSicherheit: Wenn es nicht offensichtliche Sicherheitsmängel gibt, haben die Mitgliedstaaten kaum rechtliche Spielräume, sich gegen ein GVO-Produkt auszusprechen. Dennoch will man mit Rücksicht auf die Haltung der Bürger politisch anders entscheiden. Lässt sich das Spannungsfeld auflösen?

Maria Weimer: Es gibt hier keine einfachen Lösungen. Fest steht jedoch: Der harmonisierte Rechtsrahmen, zusätzlich noch die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten Mitglied der Welthandelsorganisation WTO sind, lässt Abweichung auf der Ebene der Mitgliedstaaten nur zu, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Über die WTO sind die Mitgliedstaaten die Verpflichtung eingegangen, dass keine Handelsbeschränkungen erlassen werden dürfen, die nicht wissenschaftlich fundiert sind. Das ist auch der Gedanke hinter dem harmonisierten Rechtsrahmen, den die Mitgliedstaaten damals beschlossen haben. Sie haben damit ihre Kompetenz an die EU übergeben und sich strikteren Anforderungen an nationale Alleingänge unterworfen. Man hatte eben das Ziel, den freien Verkehr von GVO-Produkten zu ermöglichen und gleichzeitig ein hohes Gesundheitsniveau zu sichern.


"Die Mitgliedstaaten können nicht an einem harmonisierten Rahmen festhalten und gleichzeitig auf lokaler Ebene selbst entscheiden wollen."

bioSicherheit: Landwirtschaftminister Seehofer und die CSU wollen sich dafür einsetzen, dass die EU nur noch für die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen zuständig ist. Über deren Anbau sollen die Regionen – etwa ein Bundesland oder Landkreis – entscheiden.

Maria Weimer: Politisch klingt das ja nicht unsympathisch. Wenn die Kommunen entscheiden, hat es den Anschein von Subsidiarität. Nur: Rechtlich ist das schwieriger. Subsidiarität meint, dass Entscheidungen dann auf lokaler Ebene getroffen werden müssen, wenn sie besser dort entschieden werden und nicht auf zentraler, europäischer Ebene. Vor fünf bis sieben Jahren hat man eigentlich gedacht, die EU kann es besser machen, darum hat man eine entsprechende Gesetzgebung geschaffen.
Es gibt auch Bereiche, die auf EU-Ebene rechtlich nicht harmonisiert sind. Dort haben die Mitgliedstaaten etwas mehr Spielraum und können verschiedene Gründe anbringen, warum sie die Warenverkehrsfreiheit einschränken. Wenn man aber einen Bereich harmonisiert, und ein Gesetz auf europäischer Ebene und ein gemeinsames Verfahren schafft, so wie es bei den GVO der Fall ist, dann unterwirft man sich strikteren Anforderungen. Im Moment ist die Lage so: Nur bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen kann ein Mitgliedstaat von der gemeinsamen Entscheidung abweichen. Allerdings könnte man bei einer Reform über klar begrenzte Ausnahmefälle nachdenken, um spezifischen lokalen Bedingungen wie etwa Naturschutzgebieten besser Rechnung zu tragen.

Zusammengefasst: Die bayerischen Vorschläge sind ein ganz klarer rechtlicher und logischer Widerspruch. Die Mitgliedstaaten können nicht an einem harmonisierten Rahmen festhalten und gleichzeitig auf lokaler Ebene selbst entscheiden wollen, um etwa "gentechnik-freie" Zonen zu schaffen. Das beißt sich mit dem Grundsatz, dass es einen freien Warenverkehr auch mit GVO geben soll. Dann wäre es konsequent, diesen Bereich aus der Harmonisierung herauszunehmen. Aber ich glaube nicht, dass das rechtlich und politisch eine Option ist.


"Die Wissenschaft kann nicht alle Entscheidungen für die Gesellschaft treffen."

bioSicherheit: Ein anderer Vorschlag ist, bei der Zulassung von GVO nicht nur nach wissenschaftlichen Kriterien zu entscheiden, sondern auch soziökonomische Kriterien miteinzubeziehen. Besteht nicht die Gefahr, dass solche "weichen" Kriterien willkürlich angewandt werden?

Maria Weimer: So wie Sie die Frage formulieren, steckt dahinter die Vorstellung, dass nur das, was wissenschaftlich begründet ist, sozusagen handfest ist. Wenn etwas nach anderen Kriterien entschieden wird, dann ist es "soft" und willkürlich. Ich halte das für etwas vereinfacht. Aus der soziologischen Forschung wissen wir: auch der wissenschaftliche Prozess ist ein sozialer Prozess. Wissenschaftliche Untersuchungen und die dabei gefundenen Ergebnisse sind nicht rein objektiv, sondern auch geprägt von Werten und Glaubenseinstellungen der Wissenschaftler und von dem Auftrag, den die Wissenschaftler von der Politik bekommen haben. Die Wissenschaft liefert keine so harte und objektive Grundlage, wie man es gerne haben möchte.

Die Berücksichtigung sozioökonomischer Kriterien bei der Zulassung von GVO wie sie derzeit etwa von Frankreich gefordert wird, ist ja nicht etwas ganz Neues. Nach geltendem Recht kann die Kommission andere "legitime Faktoren" heranziehen, wenn sie auf der Grundlage der EFSA-Bewertung über eine GVO-Zulassung entscheidet. Was das genau ist, ist nicht eindeutig definiert, aber klar ist, dass es nicht-wissenschaftliche Faktoren sein müssen. In der Praxis, schätze ich, geschieht die Berücksichtigung nicht oder nicht offen. Sozioökonomische Aspekte – etwa die Abwägung, welche Auswirkungen der Anbau von gv-Saatgut in einem bestimmten Territorium für die konventionelle Landwirtschaft hätte – werden unter dem Deckmantel von Wissenschaftlichkeit versteckt. Es wäre ganz wichtig, dass man sich bei der Reform des GVO-Zulassungsverfahrens offen darüber verständigt, welche Überlegungen neben den Risiken für Umwelt und Gesundheit und ihrer wissenschaftlichen Bewertung noch in den Entscheidungsprozess einfließen dürfen. Und man müsste diese gegebenenfalls deutlich formulieren und zusätzlich für Verfahrensgarantien sorgen, damit ihre Berücksichtigung in einer transparenten Art und Weise geschieht. Das ist auch deswegen so wichtig, weil die Wissenschaft nicht alle Entscheidungen für die Gesellschaft treffen kann.

bioSicherheit: Doch was könnten solche "legitimen Faktoren" sein? Und wie schafft man es, dass sie in einer objektiven, nachvollziehbaren Weise bewertet werden können? Ist die Gefahr von Willkür nicht sehr groß?

Maria Weimer: Solche Faktoren können wirtschaftliche, soziale oder ethische Erwägungen betreffen, aber auch gesellschaftliche Traditionen wie etwa die Esskultur. Willkür der öffentlichen Verwaltung vermeidet man durch Kontrollmechanismen, im Fall der GVO-Zulassungen etwa die wissenschaftliche Risikobewertung oder eine stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit. Die Kommission könnte etwa verpflichtet werden, bei ihrer Zulassungsentscheidung zu begründen, wie sie die Kommentare der Öffentlichkeit berücksichtigt hat. Das ist im Moment nicht der Fall. Letztlich müssen wir aber der Verwaltung ein Ermessen einräumen und darauf vertrauen, dass sie dieses nicht willkürlich anwendet. Und man braucht natürlich einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz.

bioSicherheit: Ist es rechtlich möglich, die GVO-Zulassungsverfahren kurzfristig zu ändern? Oder geht das nur über langwierige Änderungen der entsprechenden EU-Verordnungen?

Maria Weimer: Man kann die bestehenden Regelungen nur nach dem gleichen Verfahren ändern, nach dem sie geschaffen wurden. Parlament und Mitgliedstaaten müssen mit Mehrheit zustimmen, die Mitgliedstaaten sogar mit einer qualifizierten Mehrheit. Da gibt es keine andere Möglichkeit.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Maria Weimer ist Juristin und forscht seit Jahren über den rechtlichen Umgang mit neuen Technologien, wissenschaftlicher Ungewissheit und Risiken. Momentan ist sie dabei, ihre Promotion am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz zu beenden, in der sie die Anwendung des Vorsorgegrundsatzes in der EU Regulierung von GVO untersucht. Weitere Forschungsgebiete sind das Recht der öffentlichen Verwaltung, EU Recht und Governance. Sie hat in der Vergangenheit auch als Journalistin für den NDR und den Spiegel in Hamburg gearbeitet.

 

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